New View Safety
Traditionelle Ansätze des Sicherheitsmanagements, die im Zusammenhang mit dem „New View“ auch als Safety-I bezeichnet werden, konzentrieren sich auf die Beseitigung von Gefahren und die Vermeidung von Unfällen.
Der Schwerpunkt des „New View“ liegt nicht auf dem Lernen aus Unfällen, sondern auf dem Lernen aus dem Tagesgeschäft, aus dem, was ‚richtig‘ läuft.
Safety-I setzt Risiko- und Unfallfreiheit mit Sicherheit gleich und misst Sicherheit an der Abwesenheit unerwünschter Ereignisse, z.B. an Unfallraten oder unfallfreien Tagen.
Diese Strategie führt zu Verbesserungen, bis die Unternehmen ein Plateau bei den Unfallzahlen erreichen.
In den letzten Jahren gibt es eine wachsende Bewegung hin zu einer erweiterten Sichtweise von Sicherheit, bei der die Resilienz und die sogenannte Capacity im Vordergrund stehen.
Die prominentesten Vertreter dieser neuen Sichtweise sind Erik Hollnagel mit Safety II, Sidney Dekker mit Safety Differently und Todd Conklin mit Human Organizational Performance (HOP).
Die gemeinsame Philosophie:
– Der Mensch ist fehlbar. In der Sicherheit geht es nicht um Schuldzuweisungen.
– Beschäftigte sind die Experten.
– Sicherheit ist eine Systemeigenschaft.
– Ständige Neugierde und Lernen aus dem, was gut und richtig läuft.
Alle Ansätze gehen davon aus, dass das Tagesgeschäft unabhängig vom Ergebnis im Grunde immer gleich abläuft, d.h. es gibt immer eine Varianz in der Art und Weise, wie die Arbeit gemacht wird, aber es kommt nicht immer zu einem Unfallereignis.
Der Schwerpunkt des „New View“ liegt daher nicht auf dem Lernen aus Unfällen, sondern auf dem Lernen aus dem Tagesgeschäft, aus dem, was ‚richtig‘ läuft.
In Abb. 1 stellt die schwarze Linie dar, wie die Arbeit geplant ist. Da wir aber nicht in einer perfekten Welt, sondern in einer komplexen arbeiten, müssen jeden Tag Entscheidungen getroffen werden, um den Plan an die aktuellen Gegebenheiten anzupassen. Das ist die blaue Linie – wie die Arbeit tatsächlich abläuft. Die rote Linie stellt das Potential für eine Verletzung dar – die „Work-in-Practice“-Arbeit darf nicht in den Bereich der roten Linie abdriften.
Ziel ist es, gemeinsam mit den Experten, d.h. den Beschäftigten, herauszuarbeiten, wo die blaue Linie, d.h. die Diskrepanz zwischen „Work-as-Planned“ und „Work-in-Practise“ liegt, um resiliente, d.h. fehlertolerante Arbeitssysteme aufzubauen. Bei denen ist der Abstand zwischen roter und blauer Linie (engl. Capacity) immer so groß, dass menschliche Fehler nicht zu Unfällen führen.
Gut zu wissen
Der „New View“ kann als Weiterentwicklung des Zweigs Human Factors und System Safety in der Sicherheitswissenschaft angesehen werden und hat seinen Ursprung in der Schule des Cognitive System Engineering (CSE), die auf eine lange Forschungsgeschichte zurückblicken kann.
Neu sind also weniger die Ansätze als vielmehr die Art und Weise, wie die Inhalte dargestellt und vermittelt werden.
Ich nutze gerne eine Kombinationen aus bewährten und modernen Ansätzen. Die erweiterte „New View“-Perspektive unterstützt mit ihrer Philosophie insbesondere den notwendigen Perspektivenwechsel bei der Entwicklung von einer regelorientierten zu einer proaktiven und generativen Sicherheitskultur.
Wer jetzt Lust auf ein leicht lesbares und praxisorientiertes Buch hat, dem kann ich „Do Safety Differently“ von Dekker und Conklin empfehlen (nein: kein Affiliate Link, sondern wirklich nur eine Buchempfehlung, wenn auch in Englisch).
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